Für sich selber sorgen, wenn alles zu viel wird

Als ich vor drei Monaten (drei Monaten?!) meinen letzten Blogbeitrag hier geschrieben habe, dachte ich mir: Ich mache einen Monat Sommerpause, und dann geht es hier erholt und mit frischer Kraft weiter! Aber dabei habe ich den Fehler gemacht, für den Hochsensible besonders anfällig sind: Ich hatte so viele Ideen, die ich am liebsten alle auf einmal umsetzen wollte, darunter diesen Blog zur Darstellung der Forschung zur Hochsensibilität – und musste schließlich erschöpft feststellen, dass ich mir einfach zu viel vorgenommen hatte.

Und so wurden aus dem einen Monat drei Monate. Und als ich nach drei Monaten die Dinge immer noch nicht mit neuer Kraft angehen konnte, musste ich mir eingestehen, dass sich eben nicht alles auf einmal umsetzen lässt. Und dass es an der Zeit ist, mich besser um mich selbst zu kümmern. Aber wenn ich für mich selbst sorge – warum sollte das nicht auch ganz unmittelbar anderen Menschen zu Gute kommen, in erster Linie anderen hochsensiblen Menschen?

Wie sorge ich also besser für mich selbst? Ein wichtiger Teil meiner Selbstfürsorge besteht darin, wieder vermehrt und intensiver verschiedene Formen von Achtsamkeitsmeditation zu praktizieren. In meinen früheren Blogbeiträgen habe ich darüber geschrieben, dass es in der Forschung erste Hinweise darauf gibt, dass eine Praxis der Achtsamkeit und der Achtsamkeitsmeditation für hochsensible Menschen hilfreich sein kann, besonders in Situationen der Überlastung. In meinen Workshops für hochsensible Menschen habe ich allerdings festgestellt, dass sie Achtsamkeit oftmals gleichsetzen mit: ganz im hier und jetzt sein, sich all dessen stärker bewusst zu sein, was um uns herum und in uns geschieht.

Wenn man Achtsamkeit so versteht und praktiziert, dann ist es nicht überraschend, dass hochsensible Menschen der Achtsamkeitsmeditation manchmal skeptisch gegenüberstehen. Ich nehme ja sowieso schon so vieles wahr, lautet der Einwand – und wenn ich Achtsamkeit praktiziere, dann bemerke ich noch mehr und fühle mich erst recht überlastet! Aber Achtsamkeit, so schreibt z.B. Tara Brach, besitzt zwei Flügel (http://tarabrach.com/). Der erste Flügel ist die bewusste Wahrnehmung. Aber um mit der Achtsamkeit ‚fliegen‘ zu können, muss noch der zweite Flügel hinzukommen: das Bewusstsein dafür, dass all diese Eindrücke, Gefühle und Gedanken nicht ‚mich‘ ausmachen. Dass sie in mir auftauchen wie Wellen im Ozean, sich auftürmen, und dann wieder verschwinden. Wenn ich mir das bewusst mache, dann entsteht ein Raum zwischen meinen Wahrnehmungen und mir – ein Raum, der es mir ermöglicht, nicht automatisch auf Eindrücke, Gefühle und Gedanken zu reagieren, sondern bewusst und überlegt zu handeln.

Diese Überlegungen finde ich so wichtig und hilfreich, dass ich sie auch stärker in meine praktische Arbeit integrieren möchte. Zu diesem Zweck nehme ich derzeit an einem Kurs von Tara Brach zu dem Thema teil, achtsamkeitsbasierte Techniken für die therapeutische Arbeit nutzbar zu machen. Und ‚achtsamkeitsbasiert‘ bedeutet immer auch: in der eigenen Achtsamkeitspraxis verankert. An dem Kurs teilzunehmen heißt somit, die Übungen selbst durchzuführen, regelmäßig zu meditieren und darüber zu reflektieren. Selbstfürsorge und Fürsorge für andere fallen hier also genau zusammen.

Was tue ich sonst noch? Ich habe angefangen, mehr noch als in der Vergangenheit Ausschau zu halten nach Strategien, sich selbst inmitten der Alltagshektik etwas Gutes zu tun und der Überlastung entgegenzuwirken. Und dabei habe ich festgestellt: Es gibt viele solcher Sammlungen von Strategien und Übungen, die hochsensiblen Menschen gut tun können – allerdings häufig nicht in Zusammenhang mit dem Thema Hochsensibilität. Und so ist meine zweite Idee entstanden, wie sich Selbstfürsorge und Fürsorge für andere kombinieren lassen: Etwa alle zwei Wochen will ich Ihnen hier eine solche Strategie vorstellen – natürlich erst, nachdem ich sie selber ausprobiert habe -, in der Hoffnung, dass sie Ihnen ebenfalls gut tun kann.

So bin ich im Zusammenhang mit meiner Beschäftigung mit Achtsamkeit auf Dr. Susan Albers gestoßen. Susan Albers ist eine Psychologin, die sich auf das sog. ‚comfort eating‘ spezialisiert hat: Essen als Seelentröster. In ihrer Arbeit beschäftigt sie sich damit, wie achtsames Essen dem ‚Essen als Seelentröster‘ entgegenwirken und dabei helfen kann, gesunde Essgewohnheiten auf- und zugleich Übergewicht abzubauen (http://eatingmindfully.com/). Aber das ist leichter gesagt als getan, denn wir greifen ja grade dann zum Essen als Trostfaktor, wenn es uns nicht gut geht. Sicher kann Achtsamkeit auf Dauer dazu beitragen, dass wir das Essen nicht mehr als Trost benötigen – aber das ist doch eher eine mittel- bis langfristige Perspektive.

Was also tun, wenn uns zwischenzeitlich das Verlangen nach einer Tafel Schokolade überkommt? Für solche Situationen hat Susan Albers eine ganze Reihe von Tipps zusammengestellt, wie man sich anders trösten oder auch einfach ablenken kann (s. die Literaturangabe am Ende). Besonders hilfreich für Hochsensible sind Strategien, die dabei helfen, das Gedankenkarussell im Kopf ‚abzustellen‘ oder doch zumindest etwas herunterzufahren. Susan Albers empfiehlt hier beispielsweise eher monotone Tätigkeiten mit den Händen. Und dabei kommen vor allem solche Tätigkeiten hochsensiblen Menschen mit ihrem oft ausgeprägten Sinn für Ästhetik entgegen, bei denen man die Hände einsetzt, um etwas Schönes herzustellen. Susan Albers nennt hier Handarbeiten wie Stricken, Häkeln oder Sticken, oder auch Origami, die japanische Kunst des Papierfaltens. Ich bin sicher, Sie haben noch andere Ideen. Wie wäre es z.B. mit Arbeiten mit Holz oder Speckstein? Mit Kalligraphie? Oder oder… Ich habe übrigens, passend zum Herbstanfang, wieder mit dem Stricken angefangen und erinnere mich nostalgisch an die Norwegerpullover, die ich mit 18 gestrickt habe. Aber für den Anfang tut es auch ein einfacher Schal.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen erfolgreiches Abschalten mit Stricken, Häkeln, Holzarbeiten oder anderen ‚händischen‘ Tätigkeiten. Vielleicht stöbern Sie ja auch einmal bei Susan Albers und entdecken noch andere ‚Seelentröster‘ – nicht nur, aber auch, für Hochsensible!

Margrit Schreier

 

Albers, Susan (2013). Der achtsame Weg zum Idealgewicht: 50 Alternativen zum Essen als Seelentröster. Arbor Verlag.

4 thoughts on “Für sich selber sorgen, wenn alles zu viel wird”

  1. Liebe Frau Schreier,
    was für ein feiner und gut recherchierter Artikel, danke dafür!
    Ich erlebe es in der Arbeit mit hochsensiblen Menschen auch immer wieder, dass zuerst eine Irritation entsteht, wenn ich ihnen Achtsamkeit versuche näher zu bringen. Verständlicherweise meinen viele zuerst, eh schon so reizüberflutet zu sein, und daher „lieber weniger wahrnehmen zu wollen“. Doch dieser Raum zwischen Reiz und Reaktion, der bei Achtsamkeitstraining entstehen kann, macht die achtsame Haltung meiner Meinung nach so hilfreich für HSP.
    Herzliche Grüße Iris Lasta

    1. Ganz herzlichen Dank fuer Ihr freundliches und ermutigendes Feedback. Verstehe ich Sie richtig, dass auf die anfaengliche Irritation dann doch eine Annaeherung an Achtsamkeit erfolgt? Und entschuldigen Sie meine verspaetete Antwort – ich war im Urlaub.
      Herzliche Gruesse
      Margrit Schreier

  2. Vielen lieben Dank für diese einfühlsamen Worte. Jetzt weiß ich endlich was mit mir los ist. Und vor allem kann ich jetzt daran „arbeiten“
    Leider sind die Seminare alle zu weit weg von mir, aber auf FB kann ich mich mit der Community austauschen, und auch das gibt mir viel.
    Vielen Dank
    Gerlinde

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